Workshop über Filmkritik mit Dietrich Kuhlbrodt
Dr. jur. Dietrich Kuhlbrodt ist eine schillernde Persönlichkeit. Das kann man am besten genießen, wenn man abends mit ihm zusammensitzt und ihm zuhört, wenn er von Schlingensief, Neonazis und Pornozensur erzählt. Er schreibt seit 1957 Filmkritiken und gehört schon lange zum Establishment der deutschen Filmkultur.
Doch waren wir ja nicht als Fans gekommen, sondern um etwas über Filmkritik zu lernen. Es gab insgesamt 13 Teilnehmer. Wie bei den anderen Workshops, die Dr. Irene Albers vom Fachbereich Literaturwissenschaft organisiert hatte, ging es auch hier nicht um theoretisches Basiswissen oder um den einzig richtigen Weg zum Journalismus, sondern um "AI" - "Appreciative Inquiery". Kuhlbrodt las gleich zu Beginn einen "taz"-Artikel über diese neue pädagogische Methode vor. Nicht problem-, sondern ressourcenbezogen soll gelernt werden. Ein Seminar ist dann gelungen, wenn es den Teilnehmern ermöglicht, neue Seiten an sich zu entdecken.
Soweit die Theorie. Wir wurden gleich ins kalte Wasser geworfen und mussten erst einmal eine Filmkritik vorlesen, die wir zu diesem Workshop geschrieben hatten. Das Prinzip Klagenfurt war angesagt: man liest seinen Text vor - Reaktion erfolgt sofort. Dietrich Kuhlbrodt lobte, gab Verbesserungsvorschläge und erfreute sich an unseren Formulierungen. Meist redete er allein. Ich fand das aber gut. Unangenehmes Schweigen entstand nie. Es wurde die Atmosphäre zunehmend lockerer, und es begannen sich Gespräche zu entwickeln.
Donnerstag war Kinoabend: "Running out of time". Entgegen unseren Befürchtungen stellte sich der Hongkong-Film als gut gemachtes Actionkino heraus. (Fast) allen hatte der Film gefallen. Nach der morgendlichen Leserunde sahen wir uns am Nachmittag zwei Filme an: einen zehn Jahre alten Hitlerfilm von Christoph Schlingensief und "Die Stille nach dem Schuss" von Volker Schlöndorff. Dietrich Kuhlbrodt hatte beim Schlingensief-Film die Goebbels-Rolle übernommen und uns vorgeschlagen, nach der Filmsichtung eine Podiumsdiskussion mit dem Schauspieler Kuhlbrodt zu simulieren. Wer wollte, konnte darüber schreiben.
Am Samstag trafen wir uns wieder und redeten über unsere Filmkritiken. Die meisten hatten sich vor Schlingensief gescheut. War's Ratlosigkeit oder Befangenheit? Wahrscheinlich entspricht der Schlöndorff-Film einfach eher unseren Sehgewohnheiten. Was mir bei dieser wie auch bei den anderen Leserunden auffiel, war die große Bandbreite von Texten und Stilen. Mal empathisch, mal analytisch, mal polemisch oder im Szenedeutsch - jeder hatte seinen eigenen Ansatz, sich mit Filmen auseinanderzusetzen.
Dietrich Kuhlbrodt gab keine Idealkritik vor. Er wollte uns dazu ermuntern, "ich" zu sagen und unsere Wahrnehmung des Films nicht hinter einem vermeidlich objektiven Urteil zu verstecken. Wer aber andere Wege ging, hatte deshalb noch lange nichts falsch gemacht. War der eine Text eher für den Service-Journalismus geeignet, hätte der andere eher auf die Kreiszeitung oder in die FAZ gepasst. Wenn eine Filmkritik ins Akademische abrutschte, sagte Kuhlbrodt auch dies. Diese Einordnungen waren mehr als Notengebung durchs Hintertürchen. Kuhlbrodt wurde nicht müde zu betonen, dass es "die" Filmkritik genauso wenig wie "den" Journalismus gibt. Diese Offenheit empfand ich sehr angenehm. Den Kunstrichter spielte Kuhlbrodt nie. Er hat unseren Autorenstolz nie verletzt. Ist das Altersweisheit? Mir hat 's jedenfalls Spaß gemacht.
(c) Serge Debrebant |