Dietrich Kuhlbrodt: Das Kuhlbrodtbuch

Lustiger Titel. Warum nennt Herr Kuhlbrodt sein Buch Kuhlbrodtbuch? Ist das nicht einfallslos? Oder was? Ich mache einen Test: Warum und wann würde ich mein Buch Hoffmannbuch nennen? Wenn ich vorhätte, nur eines zu schreiben und es dann wieder sein zu lassen? Hoffmannbuch hieße dann: Hier ist das eine und einzige Buch von Hoffmann, eben das Hoffmannbuch. Wenn Kuhlbrodt das signalisieren möchte, wäre das zwar schade, aber auch in gewisser Weise sinnvoll:

Die Kapazitäten des Buchmarktes sind begrenzt. Die Buchhändler rufen schon seit Jahrzehnten den Verlagen und Autoren zu: Schweigt! Erzählt euren Kram der Wand oder geht, wenn es denn sein muss, ins Fernsehen oder zu SWR 2 Kultur! Oder ich würde mein Buch Hoffmannbuch nennen, weil ich eitel bin und meinen Namen gerne so oft wie möglich auf dem Bucheinband sehen möchte. Ist Kuhlbrodt eitel? Wenn ich so weitermache, halten mich die Leser der MEDIENwissenschaft für eitel, weil ich es bis jetzt geschafft habe, fünfmal meinen Namen zu nennen, ohne irgendetwas über das Kuhlbrodtbuch gesagt zu haben. Oder vielleicht würde ich mein Buch so nennen, weil ich eine Marke bin? Mein Buch als Markenartikel! Vielleicht ist Kuhlbrodt ja eine Marke? In gewisser Weise ist er das. Vielleicht nicht in ökonomischer Hinsicht. Mein Vater sagte manchmal tadelnd: Du bist vielleicht 'ne Marke! Was ist Kuhlbrodt denn für eine Marke?

Ich muss gleich zugeben, dass ich Kuhlbrodt wirklich klasse finde. Ich bin also voreingenommen - obwohl ich den Autor immerhin nicht persönlich kenne! Kuhlbrodt schreibt für die von mir überaus geschätzten Publikationen Konkret, Jungle World und MEDIENwissenschaft. Leider schreibt er auch für die von mir weniger geschätzte Publikation taz. Nebenbei spielte er in Filmen von Schlingensief mit, zum Beispiel in Das deutsche Kettensägenmassaker (1990). Außerdem soll er mal eine wöchentliche Filmkolumne für die ZJE/T verfasst haben. Man sieht also: Der Mann hat sich weiterentwickelt.

Aber - und jetzt kommt der Grund, warum Kuhlbrodt so großartig ist - er ist kein hauptberuflicher Schwafelheini von der philosophischen Fakultät. Er hat vielmehr Großes in seinem Leben geleistet: nämlich als Nazijäger. Genauer: als Staatsanwalt in Hamburg und bei der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen. Dafür erhielt er einen antifaschistischen Orden (S.195).

Er ist also Filmexperte, Schauspieler und antifaschistischer Oberstaatsanwalt a.D. Einer von der wahrscheinlich sehr seltenen Sorte, die bei Sexualstraftätern an Foucaultsche Theorie und an Die Tödliche Doris denken. Das steht übrigens sehr detailliert im Kuhlbrodtbuch und außerdem steht auch noch drin, was man beim Drehen mit Lars von Trier oder mit Jean-Marie Straub und Daniele Huillet erleben kann, warum Eric Rohmer (für mich: erschreckenderweise) ziemlich unsympathisch ist und warum ein provokationsfreudiger, kunst- und theoriesinniger Jurist ein Segen für alle möglichen Leute sein kann. Nein, Letzteres steht so nicht im Kuhlbrodtbuch, das ist das Urteil des Rezensenten über den schreibenden Oberstaatsanwalt a.D. Aber eigentlich sollte ich ja nicht ihn, sondern sein Buch beurteilen. Das hat er nun davon, dass sein Buch so heißt wie er.

Was hat das eigentlich alles mit Medienwissenschaft zu tun? Vieles oder vielleicht auch gar nichts, so wie manche Spielart der Medienwissenschaft selbst ja auch alles und nichts bekittlert. Eine späte Einsicht des Filmkritikers Kuhlbrodt lautet: „Einen Film durchzuanalysieren und auszuinterpretieren ist unambivalent und somit falsch. Wenn Bilder keinen Rest, kein Geheimnis und kein Rätsel mehr haben, sind sie Literatur." (S.175) Also: keine Medienwissenschaft. Aber: ein tolles Buch.

Stefan Hoffmann (Mannheim)

Home