Kuhlbrodt - Schulbrot

So im Ms., erschienen ist der Text am 15.10.02 in der taz unter der Überschrift "Das bist du gar nicht"

Als Oberstaatsanwalt hatte Dietrich Kuhlbrodt Nazis verfolgt und in Schlingensieffs "das deutsche Kettensägenmassaker" gleich nach der Wende hoffnungsfrohe Bürger der ehemaligen DDR zersägt. Der Träger eines antifaschistischen Ordens, Filmkritiker und Freund der Künste und KünstlerInnen, wird am 15.Oktober 70. In einem schönen Buch, das im berliner "Verbrecher-Verlag" erschienen ist, hat er seine Erinnerungen aufgeschrieben.

Im "Kuhlbrodtbuch" geht es um Vieles - Politik, Travestie, Geschichte und Uniformen; Filme, Theorien, Nazis, Sexualstraftäter und heilende Praktiken; es geht um das, was geschehen ist und wie man sich erinnert und was in einem selber aufbewahrt ist, von denen, die vor einem da waren oder mit einem leben, wie seine Frau, Brigitte Kuhlbrodt, als die er mehrmals auftrat, wenn sie nicht mehr konnte, und wie sich das alles verwandelt. Die Nazistiefel werden etwa zur Theaterrequisite, die man mit Lust trägt.

Alle sieben Jahre sind die Erinnerungsträgerzellen tod; so sollte man sie zwischendurch immer wieder mal erneuern, heisst es irgendwann.

Der Staatsanwalt ist der Konzentration verpflichtet, der Autor schreibt assoziativ. Von einem kommt der Kuhlbrodtsche stream of consciousness zum nächsten, um sich zu verlieren und wiederzufinden; als anderer oder mehrere.

Es ist lehrreich und macht Freude, dem zu folgen. "Ist das eine Autoreportage, wenn ich wiedergebe, wie Erinnerungen kommen und gehen? Für ein Buch braucht es dazwischen einen STOP, um eine zu rauchen oder aufs Klo zu gehen, und zu lesen ist solange eine Text, der steht, weil er schon mal wo erschienen ist."

Dietrich Kuhlbrodt sagt, er sei schizophren und liebe die Travestie. Verwandte wie Fritz Kuhlbrodt stehen als Komödianten in den Anfängen der Lichtspielgeschichte. Es gibt auch Nazikuhlbrodts sowie "utopische Kuhlbrodts", die nach dem Krieg erst nach Moskau, dann nach Chile gingen. Ludwigsburg, wo Kuhlbrodt 1965 seinen Dienst in der in einem ehemaligen Fraüngefängnis untergebrachten "Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen" antrat.

Dass diese Stelle als Schandfleck empfunden wurde, erwartet man; die Details machens aber aus: Zwei Tage nach Beginn seiner Tätigkeit "hatten die Nachbarn angezeigt, dass ich abends die Jalousien nicht runtergelassen und gleichwohl Kleidung abgelegt sowie morgens den Müll in die falschen Eimer entsorgt und die Kehrwoche nicht beachtet hatte. Ich musste gestehen. Die Beweise waren eindeutig, triumphierend führte mich die Schönste der Nachbarinnen auf den Dachboden, wo die Kontrollfäden, die sie ausgelegt hatte, unberührt waren, und zu einer der Fussmatten, die auf jedem Treppenabsatz lagen: drunter nicht gefegt! Aber es soll doch auch da appetitlich sein!"

Oder:

Eine Bundeswehrkapelle zieht an der Zentralen Stelle mit Marschmusik vorbei, um den SS-General Dietrich feierlich zu Grabe zu tragen. Als Nazis mit Angriffen drohen, schützt die Polizei nicht die Akten, sondern gibt den Jungstaatsanwälten Pistolen und empfiehlt ihnen, bei den Akten zu übernachten.

Andere Orte: Paris in den 50ern mit Juliette Greco, Hamburg, Riga, Harare, Mülheim, Berlin, "die Kuhlbrodtheimat" und als Filmlehrbeauftragter in Frankfurt "machte ich Stimmung für die Kultur der Filmrezeption. (...) Würde das gelingen, Studenten zu bewegen, statt über´s Werk über sich selbst zu sprechen?" Ist das oldschool? - Es gelang jedenfalls wohl und ,eine Studentin schrieb in ihrer Seminararbeit: ´Meine Möse wurde feucht.´"

Viele Menschen tauchen auf in interessanten Umständen. Unter anderem: Eric Rohmer, Lars von Trier, Monika Treut, Jean-Marie (?) Straub, Udo Kier, Christoph Schlingensieff, Peter Gente und Heidi Paris, der Jugendfreund Ulrich Gregor und wie sie in Afrika herumtrampten.

Wenn man das alles so liest als Namensgleicher, macht man sich natürlich auch so seine Gedanken. Meine Schwester Karin wurde in der Schule zum Beispiel häufig mit "Kuhlbrodt-Schulbrot" geneckt, Kuhlbrötchen war nett und der eigene Vorname gab nicht nur oft Anlass zu schwulen Assoziationen, sondern man musste auch immer erklären, dass das erste "e" nicht hart gesprochen werden sollte, sondern weich wie in "egal". Ob das weiche "e" schwul ist oder eher das harte ist unklar. Im Norden scheint das weniger gebräuchliche harte "e" am Anfang schwul; im Süden ist es umgekehrt und seitdem ich in Berlin lebe, hab ich nur noch harte e´s und seitdem ich für Geld schreibe, bin ich doppelt; Dietrich war vor mir da. Wir schrieben oft in den gleichen Organen und bekamen manchmal die Schecks des anderen. Einmal sagte auch jemand "das bist du gar nicht", als ich meinen Namen sagte. Wiglaf Droste wollte mal, dass ich einen Text mit Dietrich zusammenschreibe ­ der doppelte Kuhlbrodt, kicherkicher - und Verleger Martin Schmitz hatte ein Buch geplant und im Netz eine dementsprechende Domain eingerichtet. Geehrt aber auch etwas unwillig - als Arbeiter und Flüchtlingskind, trara - hatte ich eine Weile mit dem ehemaligen Staatsanwalt e-mails ausgetauscht, um herauszufinden ob, wie und wo wir möglicherweise verwandt sind. Es kam nichts raus, auch wenn manche Züge Verwandtschaft nahelegen und wir ab und zu aus Spass, Onkel-, Vater-, Sohn- Behauptungen aufstellten.

Wir sahen uns zum ersten Mal im Wahlkampf ´98 als Dietrich Kuhlbrodt noch

Chefideologe und Kandidat bei Schlingensiefs Partei "Chance 2000" war und

ich an einem Drogenbuch mit Bommi Baumann scheiterte. Später hatten wir beim Liebeskummerkongress in der Berliner Volksbühne einen gemeinsamen Auftritt.

Egal. Dietrich Kuhlbrodts Buch ist jedenfalls klasse und "wem das zuviel wird in diesem Buch mit Anekdoten und Bildern, die etwas erklären (aber was), den möchte ich aufs Kamera-Objektiv verweisen. Die Botschaft ist die Adresse. Zum Teil wenigstens."

Detlef Kuhlbrodt

Dietrich Kuhlbrodt

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